An den düsteren ,,Shipbreaking – Yards” am Hafen entfaltet sich ein atemberaubendes Drama aus Zerstörung und Wiedergeburt. Hier erreichen ausgediente Schiffe die früher einmal als Megafrachter unsere Bananen und Klamotten um die Welt fuhren ihr trauriges Ende, während gefälschte Zertifikate und unentdeckte Giftstoffe die dunklen Geheimnisse dieser Industrie enthüllen. Doch das ist erst der Anfang.
In Bangladesch werden jährlich etwa 800 Ozeanriesen auseinandergenommen und „recycelt“ , ein eindringlicher Anblick, der die Fragilität unserer Umwelt und die menschlichen Abgründe offenbart.
In einer Szenerie geprägt von Mühsal und Entbehrung werken Arbeiter mit bloßen Händen und einfachsten Werkzeugen an den gewaltigen Schiffen. Die meisten stammen aus ländlichen Gegenden im Norden des Landes und reisen allein nach Chittagong, um das hart verdiente Geld an ihre Familien zu schicken. Unter extrem niedrigen Löhnen und gefährlichen Bedingungen, oft ohne jegliche Schutzkleidung, setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Die Schiffswände werden mit Schweißbrennern zerschnitten, zerquetsch, stürzen herab und werden bei Ebbe weggeführt. Dabei lauern ständig Gefahren: Arbeiter können abrutschen, sich an scharfen Kanten verletzen oder von herabfallenden Teilen getroffen werden. In den Tiefen der Schiffe drohen Gasexplosionen. Laut Statistiken verliert hier jede Woche mindestens ein Mensch sein Leben, doch die Dunkelziffer ist wohl weit höher, da viele Arbeiter – darunter auch Kinder und Jugendliche – an Vergiftungen oder Infektionen sterben. Sie sind den gefährlichen Dämpfen und Substanzen schutzlos ausgeliefert. Die Umgebung der “Shipbreaking Yards” wird durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen kontaminiert: Giftige Stoffe werden oft unmittelbar abtransportiert und verschmutzen Strand und Sedimente. Zudem leiden Flussmündungen und Grundwasser stark, da die Schadstoffe durch die Gezeiten ins Landesinnere gespült werden. Nur wenige Werften verfügen über Auffangsysteme, um Mineralöl, Schwermetalle und Asbest zu binden und vor Ort zu entsorgen.
Ohne angemessene Einrichtungen zur Lagerung und Entsorgung gefährlicher Abfälle im Chittagong-Gebiet werden die Giftstoffe aus den zerlegten Schiffen einfach auf den Gebrauchtmarkt abgeladen, weiterverkauft oder erneut an internationale und nationale Käufer verkauft. Diese unkontrollierten Praktiken verursachen zusätzlichen Schaden für die umliegenden Gemeinden, die bereits unter den Auswirkungen leiden. Der alte Stahl wird für den Bau von Brücken und Gebäuden verwendet. Dass 95% eines Schiffes dadurch recycelt werden, impliziert andererseits einen “grünen Kreislauf”: Möbel und altes Öl werden abgepumpt, ausgebaut und weiterverkauft. Doch die Nebeneffekte für Umwelt und Bevölkerung wiegen schwer.
Die Kosten und Nutzen sind ungleich verteilt. Ölspuren und Asbeststaub erreichen Europas Strände nicht. Und solange das so bleibt, bleibt auch das Interesse für eine gerechtere Lösung aus. Den Preis für das „westliche“ Konsummodell, das auf grenzenloser Verfügbarkeit beruht, zahlen die Länder des globalen Südens, die keine wirkliche Wahl haben, ob sie an diesem Handel teilhaben wollen oder nicht.
Die Unternehmen, die vom Schiffabbruch profitieren durch niedrige Entsorgungskosten, versuchen ihre Küstenbereiche durch Tore und Mauern abzuschirmen. Menschenrechtsaktivisten setzen sich für verbesserte Arbeitsbedingungen in den “Shipbreaking Yards” ein. Die Dokumentarfilme “Eisenfresser” und “Giftiger Tankerschrott für Bangladesch” beleuchten die Probleme und die Beteiligung deutscher Reedereien.
Die Umflaggung ist eine zentrale Methode zur Umgehung rechtlicher Regelungen im Schiffsrecycling. Europäische Reedereien lassen ihre Schiffe unter fremden Flaggen fahren, oft aus Nicht-EU-Ländern, um die strengen EU-Vorschriften zu umgehen. Diese “Billigflaggen” stammen häufig von karibischen Inselstaaten wie St. Kitts und Nevis. Durch diese Praxis sparen sich die Reedereien die Kosten einer regelkonformen Verschrottung, entrichten Steuern an die Flaggenstaaten und umgehen die Regelungen zum Schiffsrecycling.
Die Auswirkungen sind alarmierend: Das Umflaggen von Schiffen außerhalb der EU ist weit verbreitet, sodass bereits im Jahr 2007 etwa die Hälfte der Schiffe europäischer Reedereien unter außereuropäischen Flaggen segelte. Auch die Umwelt in der Nähe der Strandwerften wird nachhaltig beschädigt. Um die Werften zu vergrößern, werden häufig Mangrovenwälder abgeholzt, um den Strand für Schiffsskelette freizugeben. Auch die giftigen Stoffe der Schiffe, die ungehindert im Sand versickern, zerstören die Artenvielfalt vor Ort. Die Verschmutzung ist sogar auf Satellitenbildern sichtbar. So ziehen sich in Chittagong, der größten Abwrackwerft Bangladeschs, kilometerweit Ölspuren in den bengalischen Golf, deren Auswirkungen auf das Meer sich nur erahnen lassen. Die Betreiber der Schiffe profitieren von den niedrigen Entsorgungskosten, während die Beschäftigten und die Umwelt im globalen Süden die negativen Folgen zu tragen haben. Gleichzeitig ist der volkswirtschaftliche Nutzen der Verschrottung nicht zu verschweigen. Bangladesch ist zu großen Teilen von dem Stahl, der durch das Abwracken “gewonnen” wird, abhängig
Und solange sich an dieser bedauerlichen Realität nichts ändert, verschleiern wir nicht nur die wahren Kosten unserer Konsumgewohnheiten, sondern setzen auch unzählige Menschenleben auf dem Altar des Profits und der Bequemlichkeit. Die dunklen Schatten der Shipbreaking-Yards werden weiterhin über das unschuldige Leben am Rande der Gesellschaft streifen, während wir in unseren heimischen Gefilden die Augen vor den Verwüstungen verschließen, die unsere Konsumentscheidungen anderswo verursachen. Doch wir dürfen nicht länger wegsehen oder die Folgen unserer Handlungen ignorieren. Es ist an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft der Verantwortung stellen und für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft kämpfen – eine Zukunft, in der weder die Umwelt noch die Menschenleben auf dem Altar des Profits geopfert werden und Jugendlichen bzw. Kinder die Kindheit geraubt wird.