Brexit aus Sicht der Logistik

Adieu, vereinigtes Königreich!

Schon im Jahr 2016 hat sich die Mehrheit der britischen Stimmbürger für einen EU-Austritt ausgesprochen. Rund vier Jahre und zwei Regierungsoberhäupter im Unterhaus später verlässt Großbritannien am 31. Januar 2020 ganz offiziell die Europäische Union. Die Folgen waren schon vorher allen Beteiligten bewusst. Welche Auswirkungen der Brexit jedoch nun tatsächlich auf das präferenzielle Handelsabkommen der EU hat, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Eines muss man der Politik ja lassen: In der Regel passiert nichts so schnell und abrupt, dass es keine Möglichkeit gibt, den Übergang zu regeln. So wurde auch beim Brexit ein sogenanntes Austrittsabkommen verhandelt. Das ist vor allem wichtig, da Großbritannien für einen Übergangszeitraum weiterhin Teil des EU-Binnenmarktes und der damit verbundenen EU-Zollunion bleibt. In der Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 hat das Vereinigte Königreich nun die Gelegenheit, mit den anderen 27 EU-Mitgliedstaaten die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen zu regeln. Aber auch hier gibt es die Möglichkeit zur Verlängerung: Nämlich genau einmal um bis zu zwei Jahre, was wiederum den 21. Dezember 2022 als letztmöglichen Termin festlegt. 

Handel weiterhin erst einmal problemlos möglich

Das Gute vorweg: Erst einmal ändert sich nichts. Sämtliche Standards des Europäischen Binnenmarktes im Handel zwischen Großbritannien und dem Rest der EU sind weiterhin anwendbar, auch müssen keine Zollanmeldungen oder -kontrollen durchgeführt werden. Das macht zumindest für die ersten Monate nach dem EU-Austritt den Handel und die Logistik einfacher. Verständlich ist jedoch die Entstehung vieler Unsicherheiten auf den Seiten der jeweiligen Handelspartner.  

Präferenzabkommen: Unsicherheiten begleiten Warenverkehr

Insbesondere beim Warenursprung und der Präferenzen im Bezug auf die Freihandelskommen der übrigen EU-Staaten werden Bedenken laut. Vor allem der weltweite Handel der EU-27-Länder mit ihren Partnerstaaten wird im Austrittsabkommen nicht geregelt, auch wenn Erzeugnisse britischem Ursprung gehandelt oder bei Herstellungsprozessen innerhalb der EU weiterverwendet werden. Das sogenannte Präferenzrecht beruht nämlich auf Verträgen der EU mit Drittstaaten (Präferenzabkommen), die nur von der EU geschlossen werden, nicht unter Berücksichtigung der Meinung von einzelnen Mitgliedsstaaten.

Vereinigtes Königreich weiterhin „inoffizielles“ Mitglied der EU

Doch so ganz einheitlich gesetzlich geregelt ist der Brexit im Bezug auf die präferenziellen Ursprungsregelungen keineswegs. Beim Brexit mit Austrittsabkommen ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU und somit auch nicht mehr Handelsabkommen-Vertragspartner. Die Europäische Union hat vor, die Handelspartner darum zu bitten, Großbritannien auch während der Übergangsperiode als EU-Mitglied „zu behandeln“. Sollten die anderen EU-Staaten diese Bitte akzeptieren und ihr Folge leisten, ändert sich während der Übergangsperiode erst einmal nichts. So würden auch Lieferantenerklärungen weitere ihre Gültigkeit behalten und Ursprungserklärungen in Partnerländer ohne große Probleme weiter ausgestellt werden können. Allerdings kann es natürlich passieren, dass einzelne Handelspartner der Bitte der EU nicht zustimmen. Wie dies praktisch gehandhabt werden soll, wird sich in der ersten Zeit ab Februar 2020 zeigen.

Weitere gravierende Auswirkungen hat dies auf den Brexit nach der Übergangsfrist. Denn dann ist es Fakt, dass Waren mit Ursprung im Vereinigten Königreich nach Ablauf der Übergangsfrist definitiv keine EU-Waren mehr sind und folglich nicht mehr als präferenzberechtigt behandelt werden. Das Dilemma: genau dieser Sachverhalt gilt nach Auffassung der Europäischen Union auch für englische Waren, die sich bereits vor dem Brexit im Gebiet der EU27 befinden, was auch wiederum Auswirkungen auf die Präferenzkalkulation mit sich bringt. Vormaterialen aus Großbritannien gelten damit als Vormaterialen ohne Ursprung, Be- und Verarbeitungen im Vereinigten Königreich sind somit keineswegs mehr ursprungsbegründend.       

Weiterhin Sorge über Anerkennung von Präferenznachweisen

Die zuvor genannten Sorgen haben vor allem innerhalb des Übergangszeitraums zur Folge, dass auf der Basis dieser Lieferantenerklärungen Präferenznachweise durch Zollstellen oder den Ausführer ausgestellt werden. Eine Voraussetzung muss jedoch dafür erfüllt sein: Die anderen Mitgliedsstaaten bzw. Partnerländer müssen diese Bescheinigungen ebenfalls akzeptieren, wenn sie im vereinigten Königreich ausgestellt worden sind. Da besteht die Gefahr, dass sie genau dies nicht tun könnten – aber zumindest besteht eine erste Regelung für die Folgezeit des Brexits. Für weitere Fragen steht Ihnen unser Team gerne zur Verfügung.

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